Die Geschichte des Stahlwerks Becker eine Erfolgsgeschichte seiner Zeit? Oder, so finde ich sollte man sie besser als Tragödie bezeichnen? Eine Tragödie für die Arbeiter und deren Familien und somit auch für Willich selber.
Der Ursprung des Stahlwerks liegt eigentlich in Krefeld. Dr. Reinhold Becker wurde bei der 1900 gegründeten Krefelder Stahlwerk AG im Jahre 1903 zum Direktor bestellt. Der Reingewinn stieg kontinuierlich an und betrug im Jahre 1906 noch 700.015,37 Mark. 1907 jedoch nur noch 478.251,46 Mark und 1908 fuhr man ein Verlust in Höhe von 1.329.481,21 Mark ein. Man trennte sich von Becker. Doch dieser landete einen Coup direkt vor der Nase der Krefelder. Er schlug dem Willcher Gemeinderat am 17. Juni 1908 vor, ein Stahlwerk zu errichten. Der Gemeinderat war von dieser Idee sehr angetan, bedeutete dies doch einen erheblichen wirtschaftlichen Aufstieg für Willich. So erwarb Dr. Becker bereits drei Monate später, am 29.September 1908, das Areal hinter dem Güterbahnhof. Der Kaufpreis lag damals bei 3.000,00 Mark pro Morgen Land. Die Werksfläche betrug 32 Morgen, also 80.000 m². Am 3. November 1908 wurde die Stahlwerk Becker AG ind Handelsregister eingetragen. Auch baute er Wohnungen für 600 Arbeiter. Beckers Erzeugnisse zeichneten sich durch die hervorragende hohe Qualität aus und wuchs der Bekanntheitsgrad seines Werkes sehr schnell. Was auch sehr schnell Wuchs, war der Dorn im Auge der Krefelder Stahlwerk AG, deren ehemaliger Direktor ihnen ein Stahlwerk vor die Nase setzte und zu sich zu einem der größten Konkurrenten mauserte. Becker expandierte in kürzester Zeit, aber nicht nur in Willich. Dort erweiterte man um das Blechwalzwerk, welches 1917 vollendet wurde. Becker erwarb einen Grubenbetrieb in Zinnwald, gründete eine Interessengemeinschaft mit dem Hüttenverein Lothringen ab. Zwei weitere Werke, die Reinholdshütte im Krefelder Hafen und in Reinickendorf wurden auch noch vor Kriegsende in Betrieb genommen. 1915 erwirtschaftete Becker mit seinem Konzern einen Reingewinn von 4,3 Millionen Reichsmark. Das Stahlwerk brummte, seinen Arbeitern ging es gut und der Gemeinde Willich auch. Natürlich wurden auch Rüstungsgüter produziert. Bahnbrechend und auch noch heute im militärischen Bereich allseits bekannt ist die Entwicklung der Gebrüder Cönders. Zwei Ingenieure bei Becker, welche 1915 die legendäre „Becker-Kanone“ entwickelten. Nach dem Krieg verkaufte Becker die Lizenzen für diese Kanone an die Maschinenbau-AG, Seebach (Schweiz), die daraus eine Panzerabwehrkanone auf Radlafette machte. Die Waffe fand jedoch keinen Abnehmer und die Firma machte Bankrott.
Aus der Konkursmasse erwarb wiederum 1924 die Schweizerische Werkzeug-Maschinenbau AG, Oerlikon (ebenfalls Schweiz) alle Rechte und Prototypen. Im Auftrag Mexikos und Finlands entwickelten sie die Waffe dann weiter zur berühmten 20mm-Oerlikon-Flak des 2.Weltkrieges, die dann wiederum in Deutschland als Oerlikon MG FF in Lizenz gebaut wurde...
Mit dem Kriegsende verschlechterte sich die wirtschaftliche Lage zusehends. Um den Betrieb weiter aufrecht zu erhalten, war Becker gezwungen teure Kohle aus England zu importieren. Um dieses zu umgehen, fusionierte er im Dezember 1918 mit der Bochumer Bergwerks AG. Es entstanden sie Steinkohlenbergwerke Becker AG. Rohstoffengpässe, Reparationen, Auflagen der Besatzung, waren die Folgen des verlorenen Krieges und die Hauptgründe warum Becker immer mehr ins straucheln kam. Obwohl Becker den Ruf des „Finanzgenies“ genoß war es letztendlich ein vergebliches entgegensteuern gegen den unaufhaltsamen Niedergang. Auch die Kreditbelastungen waren überdurchschnittlich hoch erdrückten immer mehr. 1924 verstarb Dr. Reinhold Becker und die wirtschaftliche Lage des Konzerns brach weiter erheblich ein, was zur Folge hatte, dass man sich von einigen Betrieben, wie 1925 der Steinkohlenbergbauwerke Becker AG trennen musste. 1928 erfolgte die Einstellung der Produktion mit dem Verkauf des Willicher Werkes an das Konsortium der Ruhrsstahlgemeinschaft. Für diesen Schritt kursieren zwei Varianten, einmal begründet in der damaligen schlechten konjunkturellen Lage und die andere Version besagt, dass das Konsortium der Ruhrstahlgemeinschaft, die dem Stahlwerk Willich zugeteilte Stahlquote mit übernehmen und den Willicher Konkurrenten somit ausschalten konnte. 4000 Mitarbeiter waren betroffen. Versuche das Werk in Eigenregie durch Bildung einer AG zu übernehmen scheiterten und so wurde am 5. April 1932 die Restproduktion eingestellt und das Werk endgültig geschlossen. Erst 1934 wurde das Werk in Willich und Reinholdshütte in Krefeld an die Deutschen Edelstahlwerke AG verpachtet und 1939 gekauft. Man produzierte wieder in Willich und beschäftigte bis Kriegsende zwar nur noch 1000 Mitarbeiter, aber besser als gar nichts. Der Rest ist relativ schnell erzählt. Die alliierten Siegermächte demontierten die Produktionsanlagen und die Gemeinde Willich verpachtete die Gebäude an mehrere kleine Gewerbebetriebe. Am 9. Juli erhielten die Betriebe von der Militärregierung ihre Kündigung und mussten das Gelände räumen. Neuer Hausherr bis 1993 war fortan die Britische Rheinarmee mit einer Pioniereinheit. Die Briten bauten weiter Hallen und Gebäude hinzu, die aber mittlerweile wieder abgerissen sind und nur noch die denkmalgeschützten Gebäude aus der Pionierzeit des Stahlwerkes erhalten sind. Heute befindet sich auf dem Gelände ein stetig wachsender Gewerbepark, welcher, wie ich finde, alt und neu wunderbar miteinander harmonieren lässt.
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